Innehalten, bei sich sein, bewusst handeln, einen Gang runterfahren – das Vokabular rund um das Thema Entschleunigung ist vielfältig, auch wenn Sie die Worte „Achtsamkeit“ und „im Hier und Jetzt“ vielleicht schon nicht mehr lesen können. Bloße Worte richten aber noch nichts gegen die innere Unruhe aus, die sich nur schwer bändigen lässt. Fragen wir also einen Genius um Rat, zum Beispiel den umtriebigen Forscher Alexander von Humboldt.
„Ich habe an einer Blüthentraube 44.000 Blüthen geschätzt; der Früchte, die meist unreif abfallen, waren 8.000 …“ schrieb Alexander von Humboldt Anfang des 19. Jahrhunderts auf seiner Südamerika-Reise in sein Tagebuch, als er gerade schläfrig unter einem Seje-Baum lag.
Trotz seines Ehrgeizes, den gesamten Kosmos zu erforschen, nahm er sich für solche Schätzungen Zeit – und darüber hinaus noch die Muße, diese Gedanken schriftlich festzuhalten. Was lange als Prokrastination (auf gut Deutsch: „Verschieberitis“) verschrien war – etliche moralisierende Geschichten über Faulpelze, Träumer und Tunichtgute zeugen davon –, ist heute wieder angesagt. Sogar ganz offiziell. Einige Firmen räumen ihren Mitarbeitern einen Kreativtag ein, an dem sie nicht routinemäßig arbeiten, sondern einfach nur herumspinnen sollen. Dahinter steckt keine altruistische Geste, sondern selbstverständlich unternehmerisches Kalkül: Geistesblitze treffen einen nur im entspannten, gelösten Zustand, nicht während Stress oder Routinearbeiten.
Auch ein neues Lebensgefühl gelangt nur dann zu einem, wenn man Raum dafür schafft. Wir haben zehn Tipps gesammelt, wie es gelingen kann, das Hamsterrad ein wenig anzuhalten oder gar hinter sich zu lassen.
1. Alexander von Humboldt imitieren
Legen Sie sich auf eine Wiese Ihrer Wahl und machen Sie es wie der große Forscher und Entdecker Alexander vom Humboldt: Schätzen Sie die Anzahl der Grashalme, die auf Ihrem Fleckchen Wiese wachsen. (Für den Fall, dass Sie unbedingt überprüfen wollen, wie gut Sie im Schätzen sind – obwohl das natürlich wieder eine viel zu zielgerichtete Tätigkeit ist –, verraten wir Ihnen einen Annäherungswert: 45.200 Grashalme sind es pro Quadratmeter auf einem Fußballrasen.)
2. Tourist spielen
Sie wohnen in einer Stadt, in einem Dorf, auf dem Land? Ganz egal. Stellen Sie sich einfach vor, als Urlauber gerade angekommen zu sein. Nehmen Sie sich einen Tag (oder so viel Freiraum wie Sie haben) Zeit und stellen Sie alle Dinge an, die Ihnen als Tourist so in den Sinn kommen. Vielleicht fällt’s Ihnen auf: Außerhalb der täglichen Routine erledigen wir Dinge viel langsamer, genussvoller. Und Sie werden einiges mit „Touristen-Augen“ neu entdecken. Lassen Sie sich nur ganz auf die Rolle ein!
3. Zeitlupe
Die Zeit rast immer schneller dahin? Dann machen Sie genau das Gegenteil. Erledigen Sie alles in Zeitlupe, nehmen Sie Tempo raus. Bauen Sie dazu viele Leerstellen ein, in denen Sie tatenlos herumsitzen. Sie werden merken: Obwohl objektiv „verschwendet“, weil ineffizient genutzt, haben Sie mehr von der Zeit. Sie dehnt sich aus und wird zur Wohltat – statt zum Stressfaktor.
4. Potenziale ausschöpfen
Vervollständigen Sie diesen Satz: „Der mutigste und verrückteste Teil meiner selbst würde jetzt …“ Was das mit Entschleunigung zu tun hat? Ausbrechen aus der Routine schafft neue Verknüpfungen im Gehirn und bringt eine gewisse Ruhe mit sich – und Zufriedenheit erst recht, wenn Sie Ihre Potenziale einmal voll ausschöpfen.
5. Auf der Suche nach dem Flow
Tun Sie etwas, was Ihre volle Aufmerksamkeit benötigt. Das kann eine komplizierte Aufgabe sein, eine sportliche Trainingseinheit, aber auch das bedächtige Ausmalen eines Mandalas. Oder das Schreiben eines Gedichts. Wenn Sie sich wirklich absorbieren und der Welt entrücken, stellt sich ein Flow-Gefühl ein. Das beflügelt und trägt über allen Stress hinweg.
6. Ortswechsel
Nicht immer ist es möglich, zeitliche Puffer einzubauen oder Neues auszuprobieren. Wenn Sie aus Ihrer Routine gerade nicht ausbrechen können, versuchen Sie wenigstens, den Ort für einzelne Tätigkeiten zu wechseln. Büroarbeit – warum nicht im Stehen? Hosen zu flicken? Heute mal auf dem Balkon. Mittagessen als Picknick, die 5-Minuten-Pause an einem Fleck in Ihrem Raum, auf dem Sie noch nie gesessen haben. Das wirkt.
7. Forest Medicine
Was in Japan und Neuseeland schon länger aktiv betrieben und erforscht wird, hat hierzulande erst seit Peter Wohllebens Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“ ein breites Publikum erreicht. Darin ist zu lesen, dass ein Aufenthalt unter Eichen den Blutdruck besonders stark senkt. Auf zu einem Waldspaziergang also. Und zwar ohne Handy, Hund oder Kind. Eine Stunde Herumlaufen ohne sportliche Anstrengung wirkt kleine Wunder, pusht das Immunsystem um bis zu 40%, weitet die Lungen und senkt den Blutzuckerspiegel.
Auch einige Urlaubsdestinationen bieten spezielle Veranstaltungen zu dem Thema an, wie etwa das oberösterreichische Grünau im Almtal. Das Optimum: Holz in den Alltag integrieren. Laut einer Studie des Joanneums brauchten Schüler, die in einem mit Tanne und Fichte verkleideten Klassenzimmer unterrichtet wurden, rund 8.000 Herzschläge weniger pro Tag. Macht fast 3 Millionen eingesparte Herzschläge im Jahr. Oder über 1 Milliarde über einen Zeitraum von 35 Jahren. Wenn das mal nicht entschleunigend ist.
8. Spielen
Ja, richtig gelesen. Der Homo ludens erlebt sich vor allem im Spiel als völlig selbstvergessen. Schon Friedrich Schiller erkannte dies: „… der Mensch […] ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Kinder sind hierfür ein hervorragendes Vorbild. Sie aus einem spannenden Spiel herauszureißen, ist eine mühevolle Angelegenheit, wie Eltern wissen. Darum begeben Sie sich am besten selbst hinein. Lassen Sie sich auf die Rolle als Spielende(r) voll ein, das verändert die Wahrnehmung des Zeitflusses und macht für kurze Zeit Tabula rasa mit unseren anhänglichen Sorgen und Nöten.
9. Erfindungen machen
Jeder kennt die Befriedigung, etwas Schöpferisches vollbracht, etwas mit den eigenen Händen geschaffen zu haben. Das muss nichts Großartiges sein – nur unsere Anstrengung und unsere Kreativität müssen drinstecken. Sprich, Sie können auch ein neues Kochrezept kreieren und es hinterher stolz verzehren oder sich von Mitessern loben lassen. Oder denken Sie an ein Alltagsproblem, das Sie schon lange nervt. Der fehlplatzierte Handtuchhalter im Bad? Die suboptimale Lösung mit dem Telefon? Vielleicht fällt Ihnen etwas ein, womit Sie es sich erleichtern können. Das schaltet unser Rädchen im Kopf für kurze Zeit auf Standby und schüttet außerdem noch Glückshormone aus, wenn es geklappt hat. Und zaubert jedes Mal, wenn Sie Ihrer Kreation begegnen, ein Lächeln auf Ihre Lippen.
10. Sound of Music
Als Jugendliche(r) war man noch geübter darin: Musik an und abtauchen. Daran darf man sich auch als Erwachsener ab und zu erinnern. Also: Alle Lieder, die einem etwas bedeuten, auf die Playlist und Erinnerungen nachhängen. Oder einem bestimmten Stück besonders aufmerksam lauschen, es bis in den letzten Ton hinein zu ergründen versuchen. Musik ist auf vielen Ebenen entspannend und heilsam: Sie aktiviert die Ausschüttung von Endorphinen und verringert das Stresshormon Cortisol. Gleichzeitig sorgt die Vermehrung von Dopamin für eine erhöhte Motivation.
Nur: Darüber zu lesen, reicht nicht. Also: Gleich einen der zehn Punkte aussuchen und loslegen! Und wo und wann gelingt dies alles am Besten? Natürlich bei einem entspannten Ferienhausurlaub.