Beginnen wir doch gleich mit den Gemeinplätzen: Die Nordsee ist etwas für Puristen, die das weite Nichts lieben – Deiche, Dünen, Watt, ein graues und häufig genug raues Meer für Menschen, die mit der Beaufort-Skala vertraut sind und wissen, wie sich Windstärke 8 an Land anfühlt: „Große Bäume werden bewegt, Fensterläden werden geöffnet, Zweige brechen von Bäumen, beim Gehen erhebliche Behinderung.“ Auf dem Meer sieht es derweilen noch ungemütlicher aus. Dort türmen sich „ziemlich hohe Wellenberge, deren Köpfe verweht werden, überall Schaumstreifen.“ Und Beaufort 8 ist weit entfernt von einem echten Orkan. Denn der Winddruck steigt im Verhältnis zur Windgeschwindigkeit exponentiell und nicht linear an. Regen fällt an der Nordseeküste häufig und meist horizontal, der Schwerkraft trotzend, mitten ins Gesicht, selbst wenn man die Kapuze tief über die Stirn zieht.
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Dagegen erscheint die Ostsee als eine liebliche Idylle mit seichten Hügeln und Steilküsten im Wechsel, mit kleinen Inseln und Inselchen, mit verträumten Wäldern, die bis ans Ufer heranreichen, an dem es keine Gezeiten gibt und die Brandung – ach, was schreibe ich, welche Brandung? – nur ein leises Plätschern ist zu vernehmen, während die untergehende Sonne durch das Geäst der Zweige bricht und die Kreidefelsen auf Rügen im Abendlicht leuchten lassen.
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Reizklima in Lee und Luv
Währenddessen sitzen die echten Sylt-Enthusiasten mit dem Rücken zum Meer in ihren Strandkörben und trotzen den atlantischen Tiefdruckgebieten, die über die Insel ziehen. Beugen sie sich vor, und drehen den Kopf zur Seite hinaus, um einen Blick auf das Meer zu werfen, peitscht ihnen der Sand ins Gesicht und das Getöse der Brandung macht eine Unterhaltung untereinander unmöglich. Die Nordsee liegt auf der Luvseite der Hauptwindrichtung, also der Seite, von der der Wind weht. Und den lieben Wind- und Kite-Surfer, Segler sowie Strand- und Deichspaziergänger, die meinen, es gibt kein schlechtes Wetter, nur unzureichende Kleidung. Der Wind hat allerdings den Vorteil, dass er Regenwolken in kurzer Zeit wieder vertreibt. Immerhin schafft es Sylt auf 1.685 Sonnenstunden im Jahr. Das sind ein paar mehr als in Bremerhaven.
Die Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns dagegen gilt als sonnenreichste Region Deutschlands. Usedom kommt auf stolze 1.900 Sonnenstunden im Jahr, Rügen auf über 1.800. Die Ostsee liegt auf der windabgewandten Seite, also in Lee und lockt Kurgäste mit sogenanntem „mildem Reizklima“. Der meist ablandig wehende Wind türmt keine hohen Wellenberge auf, sodass Surf- und Segelanfänger ein ideales Revier vorfinden. Stand-Up-Paddeln ist auf der Ostsee ein netter Zeitvertreib.
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Ebbe und Flut
Probieren Sie das Stand-Up-Paddeln mal auf der Nordsee. Das ist Rock ’n‘ Roll. Auch die Ostsee mag zuweilen schlecht gelaunt sein, aber richtig fluchen kann nur die Nordsee. Sie vermittelt ein Gefühl dafür, warum über Jahrhunderte das Meer und die Küsten als unheilvolle Orte galten – oder, philosophisch gesprochen, als Nicht-Orte. Die friesische Tourismusbranche nennt diese Mischung aus Sonne, Wind und klammer salziger Luft „starkes Reizklima“. Und dann das Uhrwerk (oder die Urkraft) der Gezeiten: Das Meer zieht sich zurück und kommt wieder. Zuweilen noch bedrohlicher, wenn die Flut zur Sturmflut anschwillt. Übrigens ist schon ab dem Zeitpunkt des Niedrigwassers wieder Flut. Denn so heißt der gesamte Zeitraum des auffließenden Wassers. Wenn kein Wasser mehr nachläuft, ist Hochwasser. Kurz danach ist Ebbe. Der größte Gezeitenstrom steht während der dritten und vierten Stunde nach Hoch-, beziehungsweise Niedrigwasser. Und dann ist Vorsicht beim Baden geboten: Die Strömung kann in einigen Prielen und Gatten mehrere Knoten betragen. – Wie schnell war noch gleich ein Knoten? Egal, schnell genug, um nicht gegenan schwimmen zu können.
Mit kleinen Kindern geht es also besser an die Ostseeküste nach Rügen oder an die Strände der mondänen Ostseebäder mit ihrem anachronistischem Charme des vergangenen Jahrhunderts. Da muss man nicht mit dem ganzen Kladderadatsch vom Parkplatz kilometerweit bis zum Strand latschen und kann im seichten Wasser planschen, ohne abgetrieben zu werden. Der Tidenhub ist mit etwa 15 Zentimetern zu vernachlässigen. Wer mit seinen vierbeinigen Familienmitgliedern unterwegs ist, kommt auch meist an der Ostsee besser weg. Dort gibt es mehr ausgewiesene Hundestrände an denen Ihre Rabauken zum Teil ohne Leine laufen und baden dürfen. Bei einigen Wattwanderungen in den Nationalparks der Nordseeküste sind Hunde auch erlaubt, jedoch nur mit Leine. Das Gleiche gilt für die meist unter Naturschutz stehenden Dünen, Deiche und Salzwiesen.
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Salzgehalt und Temperatur
Apropos Salz. Das größte Brackwassermeer der Erde hat einen Salzgehalt, der fast gegen null tendiert, je weiter Sie nach Norden oder Osten reisen. Wer an der polnischen Ostseeküste mit Meerwasser seine Pasta kocht, muss nachsalzen. Am Finnischen Meerbusen ist kaum noch Salz im Wasser gelöst. Hinzu kommt, dass die Ostsee im Sommer um ein oder zwei Grad wärmer ist – zumindest in den geschützten Buchten. Das mögen nicht nur Kurgäste, sondern auch Algen und andere Viecher. In den letzten (immer heißeren) Sommern kam es in der Ostsee zu erhöhter Konzentration des Bakteriums Vibrio vulnificus, das salzarmes und warmes Wasser besonders mag. Das Kieler Gesundheitsministerium wies darauf hin, dass Vibrio vulnificus schwere Wundentzündungen hervorrufen könne. Die Gefahr an der frischen Nordsee mit seinem höheren Salzgehalt ist somit geringer. Und da gibt es ja auch immer noch das Ijsselmeer – warm und süß ist die Verführung.
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Fisch und Schalentiere
Alles ist im Wandel. Nicht immer zum Guten. In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts (gerade mal ein paar Jahrzehnte her) war der Kabeljau in der Nordsee mehr als einen Meter lang, heute misst er nur noch 50 Zentimeter. Dafür gibt es aber zahlreiche neue (invasive) Arten aus den Ozeanen dieser Welt. Forscher haben in den letzten paar Jahren mehr als zehn neue Arten in der Ostsee und über zwanzig in der Nordsee nachgewiesen, wie den japanischen Beerentang oder die Pazifische Auster. Apropos Auster. Wer die glibberigen, leckeren und nach echtem (salzigen) Meerwasser schmeckenden Delikatessen mag, fährt auf jeden Fall an die Nordsee. Auf Sylt trifft sich dazu die Prominenz des Landes bei einem Glas Champagner oder gut gekühltem Chardonnay. Es heißt, die Auster schmeckt nach dem Meer und der Region, in der sie wächst. In diesem Fall also nach Wattenmeer, Salz, Algen und Wind. Wer ein paar Freunde zum Champagnerschlürfen und Austerntrinken einlädt, kann in der Strandbar Sansibar schon mal 4000 Euro für eine Magnumflasche hinlegen. Die dazugehörigen Austern sind dann fast geschenkt.
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Nordostseekanal – Warum nicht beide Meere lieben?
Kaiser Wilhelm I. legte am 3. Juni 1887 den Grundstein für den Bau des Nord-Ostsee-Kanals, der heute zu den meist befahrenden künstlichen Wasserstraßen der Welt zählt. Mehr als 30.000 Schiffe passieren pro Jahr die etwa 100 Kilometer lange Passage zwischen Brunsbüttel und Kiel. Ein Fuß- und Radweg führt entlang des Kanals, von dem aus die Schiffe beobachtet werden können. Überhaupt ist Schleswig-Holstein eine wunderbare Destination, um beide Welten kennenzulernen. Von Dagebüll bis Flensburg dauert die Fahrt mit dem Auto gerade mal eine Stunde. Drei Stunden ist man laut Google Maps mit dem Fahrrad unterwegs.
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Nordsee vs. Ostsee – welches Meer hat gewonnen? Nach Punkten klar die Ostsee. Der große Preis der Jury geht aber an die Nordsee. Mehr Action, mehr Dramatik. Mein Lesetipp: Erskine Childers Roman „Das Rätsel der Sandbank“ aus dem Jahre 1903 gilt als einer der ersten Spionageromane. Das Buch macht definitiv Lust auf einen Urlaub zwischen Prielen, Sielen und Dünen.
Für welche See schlägt ihr Herz?