Es sieht aus, als hätten die Menschen am Strand von Prerow ihre Schlüssel verloren. Sie spazieren mit gesenktem Kopf, bücken sich immer wieder, als würden sie etwas suchen, dann gehen sie weiter. Tatsächlich suchen die Spaziergänger etwas, auch wenn sie nichts verloren haben: nämlich Bernstein. Man kann sich dem kaum entziehen, wenn man am Saum der Ostsee entlangschlendert. Die Chancen stehen tatsächlich nicht schlecht, zumindest kleine Stückchen zu finden, wenn man einige Tipps beachtet: Der frühe Vogel fängt den Wurm – nach Nächten mit auflandigem Wind, der direkt auf die Küste trifft, bringen die Wellen Bernstein an den Strand. Diese bleiben manchmal liegen, allerdings eher oberhalb der Ausläufer der Wellen. Man muss also in diesen leicht unappetitlichen Haufen nachsehen, organischer Kram, halbe Badelatschen und Rollholz, also alles, was etwa dasselbe spezifische Gewicht wie die leichten Bernsteine hat.
Ferienwohnung auf dem Darß finden
Für Strandwanderer
Wer auch nach einer langen Strandwanderung zwischen Zelten, Strandkörben und Buden nichts gefunden hat, kann sich dennoch damit eindecken. Erfolgreicher verläuft die Suche in der Fußgängerzone von Prerow; Schmuckläden und Souvenirshops bieten das versteinerte Harz an. Etwa Michael Neubauer in seinem Atelier für Bernsteinkunst. Er sei Bernsteinsammler „seit ich denken kann“, sagt er. Mit sieben Jahren habe er schon geschliffen, mit neun eine Decke am Strand ausgebreitet und verkauft. Zu seinen besonderen Schmuckstücken zählen Kombinationen aus Treibholz und Bernstein.
Glücklicherweise wiegt sowas ja nicht viel – und hat gut Platz in den Satteltaschen des Fahrrads. Denn Prerow war nur ein Stopp von vielen auf meiner Radtour auf Fischland-Darß-Zingst. Eine unbeschwerte und freie Art, Urlaub zu genießen. Jeden Morgen frühstücken wir erstmal ausführlich in der Ferienwohnung in Ahrenshoop, dem Künstlerhort.
Ferienwohnung in Prerow finden
Mit dem Rad von W über A bis Z
Das Dorf liegt so beschaulich, man würde die Staffelei auspacken, wenn man malen könnte. Oder spaziere ins Kunsthaus Ahrenshoop! „Licht, Luft, Freiheit – 125 Jahre Künsterkolonie Ahrenshoop“ heißt die Dauerausstellung und zeigt den Ort aus Sicht der Künstler. Und dann fahren wir jeden Tag ein weiteres Stück. Das geht ganz unkompliziert, weil man im Bus das Fahrrad mitnehmen darf. Ohne Murren steigt der Busfahrer immer wieder aus, zieht sich Arbeitshandschuhe an, klappt den Anhänger auf, lädt die Räder ein. Und: Auch das Radwegenetz ist super!
Am Morgen fahren wir mit dem Bus bis Wustrow, und rollen von dort den Darß auf: von W über A nach Z wie Zingst. Auf dem Deich führt ein wunderbar geteerter Radweg entlang. Verfahren kann man sich nicht, es geht ja immer in eine Richtung: Bodden rechts und links das Meer, bzw. „die Ostsee“, wie sie hier sagen.
Achtung Steilufer!
Vorbei geht es an wilden Stränden, einmal warnen Schilder auch vor dem Abbruch der Kliff-Kante. Am Ortsrand von Ahrenshoop ist Zeit für eine kleine Pause, an einer erhöhten Aussichtsterrasse erklärt ein Schild, von hier malte Paul Müller-Kaempf sein „Weiter Blick über das Dorf“. Darauf sind hier alle stolz, sagt eine Frau neben mir. Nur von hier sehe man die Ostsee und die reetgedeckten Häuser so gut.
Abend am Meer. Es gibt kaum ein Lokal mit Meerblick, aber uns stört das ohnehin nicht. Wir packen einen Picknickkorb, und ziehen mit Sack und Pack und einer Flasche Wein in den Sand.
Das gediegene Publikum flaniert vormittags die Hauptstraße entlang, man trifft sich in der Bunten Stube, Buchhandlung und Kunsthandwerk-Laden heute, früher Trödelstube und Frisörsalon. An den geschwungenen Flachbau von 1922 setzte der Rostocker Bauhausarchitekt Walter Butzek den rostroten Turm. Wir radeln weiter nach Norden.
Im wilden Nationalpark
Die Landschaft wird wilder, es geht in den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft, der 1990 ausgerufen wurde und mit fast 800 Quadratkilometern der Drittgrößte Deutschlands ist. Farn wuchert an schwarzmodrigen Gräben, Moose haben Totholz erobert, Kiefern, Eichen und Buchen breiten ihre Kronen aus.
Am Parkplatz Drei Eichen wartet ein Ranger auf Urlauber, mit denen er durch den Nationalpark wandern wird. Schon früh morgens war er mit einem Kollegen hergekommen, nicht zur Vogelbeobachtung, sondern zur Parkplatzkontrolle. Wenn sie ein leeres Auto sehen, werden sie wachsam – und marschieren an den Strand. Immer wieder stöbern sie heimliche Übernachter auf. „Das Feuermachen ist das schlimmste.“ Zelten sei nirgends erlaubt.
Anfangs sei die Bevölkerung ohnehin skeptisch gewesen, habe immer gesagt: „der“ Nationalpark. Doch nun habe es mit der Rotwild- und Kranich-Beobachtung eine deutliche Saisonverlängerung gegeben, sogar im Herbst sind die Ferienwohnungen noch gut gebucht, „und jetzt sagen die Leute unser Nationalpark“.
Ich nutze die Gelegenheit und frage den Ranger nach dem Abbröckeln der Steilküste, wovor die Schilder warnten. Er antwortet: „Das ist eben Natur. Auch wenn der Sand abgetragen wird – der Darß wird nicht kleiner.“ Es verlagere sich nur vom Weststrand zum Nordstrand. „Da geht kein Sandkorn verloren.“
Schöne Strände
Weiter geht es mit dem Rad durch den Nationalpark. Ich biege links ab, holprig geht es über Wurzelgewerk bergab zum Weststrand. Ich stelle das Fahrrad vor der Düne ab, und was da so rauscht ist natürlich: die Ostsee. Mit Macht wirft sie sich an den schönsten Strand der Halbinsel, bringt Treibholz auf Wellenkronen mit.
Weiter geht es an den nördlichsten Punkt, zum Leuchtturm, 35 Meter hoch, aus roten Mauerziegeln, 1848 erbaut. 134 Stufen geht es hinauf. Weit kann man hier gucken, das Leuchtfeuer sollte die gefährliche Ostsee zwischen Darßer Ort und der dänischen Insel Falster sicherer machen. Er steht heute mitten Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Im Leuchtturmwärterhäuschen am Fuß des Turms wartet ein Café auf so hungrige Ausflügler wie uns. Sehenswert ist auch das Natureum, es zeigt Ausstellungen des Deutschen Meeresmuseums. Weiter geht es nun mit dem Rad zum Ostseebad Prerow und den Bernsteinsuchern. Und von dort wieder zurück mit dem schicken Bus.
Fotokunst statt Alter Meister
Am nächsten Morgen starten wir an derselben Stelle mit dem Rad, nun geht es an der Ostsee entlang immer nach Westen, bis nach Zingst. Was die alten Maler für Ahrenshoop sind, stellen junge Fotografen in Zingst dar: aktuelle Kunst. Großformatig prangen Fotografien im ganzen Ort. Man kann sich im Max-Hünten-Haus Kameras ausleihen, Fotokurse belegen, an Workshops teilnehmen. Um Max Hünten nachzueifern, der vor hundert Jahren auf einer Weltreise so viel fotografierte. Sein Nachlass umfasst 500 Glasplattennegative und rund 300 Negative auf Zelluloid von Landschaften und Menschen rund um den Erdball.
Ferienwohnung in Zingst finden
Bevor wir den letzten Zipfel des Darß erkunden, machen wir einen Abstecher in den Süden, nach Barth, einem kleinen Städtchen von einst großer Bedeutung. Die Werften bauten im 19. Jahrhundert über 500 Segelschiffe, heute fahren nur noch Ausflugsschiffe vom Hafen ab. Möglicherweise hatte Barth früher eine noch wichtigere Bedeutung. Die Stadt könnte das legendäre Vineta gewesen sein, jene sagenhafte Stadt an der Ostsee. In Barth will man das gerne glauben, das Heimatmuseum heißt nun „Vineta-Museum“, die Stadt ließ sich die Bezeichnung „Vineta-Stadt“ patentieren.
Der Radweg zurück an die Ostsee führt entlang der alten Bahnstrecke nach Zingst. Hinter Zingst, ganz im Osten, wird es immer einsamer. Hinter der Sundischen Wiese darf man sich nur noch zu Fuß oder mit dem Rad fortbewegen. Auf dem Radweg zu bleiben empfehlen eindringlich Schilder am Wegesrand – die Wiesen links und rechts davon seien „kampfmittelbelastet“. Hier wurden Bomben, Munition und Handgranaten hauptsächlich von der Nationalen Volksarmee geborgen.
Am östlichsten Eck
Auf dem Deich macht das Radfahren nun richtig Spaß, es ist nicht so viel los, und das Rad schnurrt nur so dahin, herrlich! Das hat allerdings einen Grund, und der heißt Rückenwind. Ruckzuck ist man in Pramort angekommen, an der Vogelausguckstation ist der Radweg zu Ende. Der Wind fegt über das Rohrricht. 250 Vogelarten leben hier, und im Herbst kommen zehntausende Kraniche zu Besuch. Pramort war mal eine Ansiedlung an der östlichen Spitze der Halbinsel Zingst. Der Ort war bis in die 1960er Jahre bewohnt, heute stehen nur noch die Beobachtungsstationen. Man könnte stundenlang in die Landschaft gucken, kleine Vögel fliegen auf, das Meer weitet den Blick.
Aber auf uns wartet noch eine Wanderung. Wir fahren ein kurzes Stück zurück, bis zum Schild: Wanderweg Hohe Düne. Zur Hohen Düne führen Bohlenwege in die Kernzone des Nationalparks. Am Ende des Weges baut sich die bewachsene, 13 Meter hohen Düne auf, darauf ein Aussichtsturm. Die Düne ist das größte unbewaldete Dünenfeld an der deutschen Ostseeküste. Weiter östlich ist ein sogenanntes Windwatt zu sehen, nicht von Ebbe und Flut geformt, sondern eben vom Wind. Der drückt das Wasser aus den Bodden hinaus in die Ostsee, so dass besonders flache Bereiche windbedingt trockenfallen.
Blick von Oben
Endlos breitet sich ein weißer Strand aus, der Nordstrand, der nicht betreten werden darf, grünes Wasser in lang auslaufenden Wellen mit weißen Schaumkronen, und die hohe Düne verebbt wellenförmig ins Halbinselinnere.
Nun bleibt nur noch der Rückweg, etwas anstrengend wegen des Gegenwindes. Aber befreit im Kopf nach diesen entspannten Tagen. Und in Vorfreude auf ein Fischbrötchen unterwegs.
Vielleicht schwingen Sie sich in Ihrem nächsten Urlaub auch mal auf den Drahtesel.
Wir wünschen Ihnen viel Freude dabei!
Eine Antwort
Habe grossen Appetite auf Fischbroetchen und Fahrradtour auf den Darz!!
Danke fuer die Info!