Der Autor dieser Zeilen hat viele Jahre am und auf dem IJsselmeer verbracht und erinnert sich mit ein wenig Wehmut an die alten Zeiten, während er im fernen Cochin, im indischen Bundesstaat Kerala auf das Eintreffen des Monsuns wartet, der für die nächsten Tage prognostiziert ist. Am IJsselmeer war auf das Wetter kein Verlass, wie hier auf den Monsun, den die Zeitungen schon Wochen vorher auf den Tag genau vorherzusagen versuchen. Der Wetterbericht am IJsselmeer konnte strahlenden Sonnenschein versprechen und es regnete in Strömen. Meistens waren die Symbole in der Wetter-App eine wilde Mischung aus Sonne, Wolken und Regen – da konnte man als Wetterfrosch nicht falsch liegen. Und den Wind nicht vergessen, der eigentlich fast immer wehte, Wolken vertrieb und neue brachte…
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Vom Tor zur Zuiderzee an der Ostküste südwärts zum Vrouwezand
In meiner Erinnerung starte ich meine Rundreise am „Tor zur Zuiderzee“, wie Makkum einst genannt wurde, als ein Bauprojekt wie das des Abschlussdeichs, der die einstige Zuidersee von der Wattensee abtrennt, und so aus dem einstigen Gezeitenmeer das IJsselmeer entstehen ließ, noch unvorstellbar gewesen war. Makkum war ein Fischerdorf und stieg im Goldenen Zeitalter der Niederlanden (und Frieslands) im 17. und 18 Jahrhundert zu einem bedeutenden Handelsplatz auf. Ich stelle mir vor, dass es wieder einmal regnet, während ich an einem Donnerstagnachmittag nach etwa dreistündiger Fahrt vom Ruhrgebiet aus, das unter der Woche und außerhalb der Ferien beschauliche Makkum erreiche.
Trotz des grauen Wetters geht mir irgendwie das Herz auf. Ich mag die Architektur mit ihren großen Fenstern, die schmalen Straßen und Wege entlang der Kanäle mit ihren Brücken und Seitenkanälen, die der Entwässerung der Felder dienen. Überall liegen Schiffe, alte, neue, Schiffe aus Holz, aus Kunststoff aus Stahl und Aluminium, Freizeitboote, Lastkähne, Baggerschiffe, kleine Schaluppen, Jollen – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Die Städte rund um das IJsselmeer sind mit dem Wasser verwachsen und untrennbar verbunden wie Venedig. Am Abend kehre ich im Café Restaurant De Prins ein. Hier lässt sich wunderbar der Frieslandurlaub beginnen. Die einladende Gaststube empfängt mit dunklem Holz und leckerem Bier (schnell gezapft und abgestrichen – dauert keine sieben Minuten). Die Wände schmücken blaue Kacheln mit maritimen Motiven. Die Gäste rekrutieren sich aus Freizeitkapitänen und einigen Locals, die den ruhigen Donnerstagabend nutzen, bevor der Wochenendansturm kommt.
Apropos blaue Kacheln (in Delfter Blau, um genau zu sein (niederl. delfts blauw) – ich nehme mir vor, am nächsten Tag die „Koninklijke Tichelaar Makkum“, die älteste Steingutfabrik der Niederlande zu besuchen, um die ein oder andere Fliese als Mitbringsel zu erwerben. Danach soll es mit dem Fahrrad weitergehen, und zwar über Workum nach Hindeloopen. Google gibt mir für die Strecke eine Fahrtzeit von einer Stunde an. Doch wer sich beeilt ist selber schuld. Zumindest in Workum sollte man einen Zwischenstopp einlegen und einen Kaffee trinken. Workum gehört zu den historischen elf friesischen Städten (Alve Fryske stêden). So, wie unsere beiden nächsten Stationen Hindeloopen und Stavoren. Durch alle drei Städte führt die Elfstedentocht (friesisch: Alvestêdetocht) , ein traditionelles Marathonrennen im Eisschnelllauf auf den zugefrorenen Kanälen entlang der elf friesischen Städte. Sie findet nur in sehr kalten Wintern statt – zuletzt 1997. Ich stelle mir vor, wie jedes Jahr über das Ausbleiben der Eisdecke diskutiert wird. Im Frühling startet dann die Segelsaison erneut, ohne dass die Elfstedentocht stattgefunden hat.
Hindeloopen ist heute ein großes Wassersportzentrum, in dem sich Segler, Wind- und Kitesurfer treffen. Einst lagen die Schiffe vor der Küste vor Anker, denn Hindeloopen hatte keinen Hafen. Dennoch stammen berühmte Kapitäne aus dem Ort. Einige historische Kapitänshäuser zeugen von der langen Verbundenheit der Stadt mit dem Meer. Im fernen Cochin, wo ich diese Zeilen schreibe, landeten die Niederländer im Jahre 1663, vertrieben die Portugiesen und machten die Stadt zum Stützpunkt der Niederländischen Ostindien-Kompanie. Das ehemalige Hafengebäude (jetzt Schleusenhaus) besitzt einen offenem Glockenturm aus dem Jahre 1619. Die Kirche wurde 1632 geweiht. Ich stelle mir vor, dass die Kapitäne, die Cochin eroberten, aus einer der Seefahrerstädte an der Zuiderzee stammten, aus Hindeloopen, Hoorn, Enkhuizen oder vielleicht aus Stavoren.
Von Stavoren aus, soll es mit der Fähre auf die Westseite des IJsselmeers gehen. Stavoren war einst eine mächtige Hansestadt mit engen Handelsbeziehungen nach Danzig und zu weiteren Städten der Ostsee. In Stavoren lohnt ein Stopp an der Schleuse zum Johann-Friso-Kanal. Zu Stoßzeiten stauen und knubbeln sich hier die Boote in Richtung IJsselmeer und in Richtung Binnenwasserstraßen, beziehungsweise Friese Meere: Hafenkino pur. Am Alten Hafen gibt es ein kleines Freilichtmuseum. Von dort startet die Fähre nach Enkhuizen. Von hier setze ich auf die andere IJsselmeerseite über, zur Provinz Nordholland. Am Leuchtfeuer geht es vorbei raus aufs „Meer“. Als Meer bezeichnen die Niederländer ein Binnengewässer. Das (offene) Meer heißt See – „Zee“. Wir folgen dem Fahrwasser um die Untiefe Vrouwenzand herum südwärts. Apropos Vrouw. Fast hätte ich vergessen, die Wyfke fan Starum oder Vrouwe van Stavoren zu erwähnen. Eine Figur aus der Volksliteratur, dessen Plastik am Alten Hafen neben der Schleuse steht und aufs Meer hinaus blickt. Eine spannende Geschichte; wer hierher kommt, bitte recherchieren und nachlesen!
In Nordholland – Enkhuizen und Medemblik
An windigen Tagen bekommt man auf der Fähre einen Eindruck davon, was Segler erwartet, die sich aufs Wasser trauen. Das IJsselmeer ist nicht tief, sodass bei zunehmendem Wind eine kurze und steile Welle aufbaut. Mit dem Wind im Rücken ganz ok, aber man muss ja auch irgendwann einmal zurück – und dann wird es nass. Mit der Fähre komme ich trocken in Enkhuizen an. Sobald das Schiff den großen Compganieshaven an Steuerbord liegen lässt, befindet man sich im Windschatten der Stadt, die im Jahre 1355 das Stadtrecht erhielt und einen großen Beitrag zur Gründung der Niederländische Ostindien-Kompanie im Jahre 1603 leistete. Es ist eine wahre Freude, durch die Altstadt zu schlendern. Das markanteste Gebäude ist das Drommedaris von 1540. Die beiden Kirchen, die Zuiderkerk und die Westerkerk stammen aus dem 15. Jahrhundert, das Koeport aus der Mitte des 17. Jahrhundert. Und an dieser Stelle muss ich in meinem indischen Exil an das Restaurant India Roti Room in Enkhuizen denken, in dem ich das schärfste indische Essen meines Lebens vorgesetzt bekommen hatte, schärfer, als alles, was ich in den letzten sechs Monaten hier in Cochin probiert habe.
Nach einem Besuch im Zuiderzeemuseum (ein Muss!) geht es weiter nach Medemblik. Mit dem Fahrrad etwa eine Stunde immer am Deich entlang – meistens gegen den Wind. Es erwartet uns das wanderbare maritime historische Flair, das alle Städte rund ums IJsselmeer so besonders macht. Hobbysegler können hier mitten in der Stadt festmachen, direkt neben der Burg Radboud (niederländisch Kasteel Radboud) aus dem 13. Jahrhundert. In der Burg befindet sich ein Museum mit einer Ausstellung zum Leben der Westfriesen im Mittelalter. Mein Restauranttip in Medemblik: das liebevoll geführte Oost – Eten & drinken am Oosterhaven.
Auf dem Berg von Flevoland
Nach dem Abstecher nach Medemblik geht es zurück zum Hafen von Enkhuizen. Schon wieder kommt der Wind von vorne. Irgendwas mache ich falsch. In Enkhuizen liegt die Willem Barentsz am Kai, ein stolzes Segelschiff mit schicken Aufbauten aus Teakholz aus dem Jahre 1931, das als Passagierschiff die Strecke zwischen Enkhuizen und Urk bedient (allerdings nur im Sommer, bitte vorher den Fahrplan erfragen). Gegen elf Uhr werden die Leinen losgeworfen und es geht wieder hinaus aufs IJsselmeer. Diesmal mit günstigen Winden.
Gegen ein Uhr kommt der Leuchtturm (Vuurtoren ) von Urk in Sicht, der auf einer kleinen Anhöhe steht. Urk war einst eine Insel inmitten der Zuiderzee. Der Leuchtturm ist der einzige am IJsselmeer und Markermeer. Und in Urk befinden wir uns nicht zurück in der Provinz Friesland, sondern in Flevoland. Ich hatte von einer Anhöhe gesprochen. Auf stolzen 18,5 Metern über NN steht der Vuurtoren auf der höchsten Erhebung von Flevoland. Seit 1617 weist ein Feuer an dieser Stelle den Schiffen aus und nach Amsterdam den Kurs. Urk ist die älteste Gemeinde in Flevoland und war einst ein kleines Fischerdorf. Davon zeugt noch heute der Fisch im Wappen.
Eine Seekarte aus dem Jahre 1852 zeigt den Ort mit kleinem Hafen und Leuchtturm noch als Insel, umgeben von Wasser. Am Hafenkai (kade) gönne ich mir ein abschließendes Mittagessen (lekkerbek mit einem frisch gezapften Bier), bevor es zurück in die Heimat geht. Der Fisch ist heiß frittiert, das Bier eiskalt und das Wetter durchwachsen, wie in den letzten Tagen. Typisch IJsselmeer, denke ich und schaue mir die Leute an, die auf der kade vorbeigehen. Wikipedia weiß drei Besonderheiten über Urk zu berichten:
1. Die Urker (nennt man die so?) geben angeblich viel Geld für wohltätige Zwecke aus. Sie stehen auf einer Rangliste für Westeuropa auf Platz eins, was die Spendenhöhe pro Kopf angeht.
2. Urk wird durch die niederländische Regierung als „Brutstätte“ des organisierten Verbrechens bezeichnet. (Kein Grund, keinen Urlaub in Urk zu machen. Sizilien ist ja auch weiterhin ein beliebtes Reiseziel.)
3. Urk hat die höchste Geburtenrate in den Niederlanden. Sie liegt mit 3,23 Kindern pro Frau höher als im indischen Durchschnitt.
Ok. Ich weiß, dass man nicht alles glauben darf, was in Wikipedia steht. Doch ich finde, das ist ein gelungener Abschluss meiner kleinen Rundreise kreuz und quer rund ums IJsselmeer. Ich bekomme Fernweh.