Wandern in Norddeutschland? Viele denken dabei an den Harz, der ohne Frage eine wunderbare Wanderregion ist. Doch was ist eigentlich los hinter dem Deich in den flachen Zonen des Nordens? Da ist zum Beispiel das Emsland, das grob umrissen im Dreieck Oldenburg, Osnabrück und der deutsch-niederländischen Grenze liegt.
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Es handelt sich dabei um ein geschichtsträchtiges Stück Land im Nordwesten Niedersachsens, das nach dem Ems-Fluss benannt ist. Traditionell nordisch ist es hier. In den vielen kleinen Orten der Region dominiert die alte Backsteinarchitektur mit den großen Bauernhäusern, den sogenannten „niederdeutschen Hallenhäusern“ mit ihren riesigen Dächern. Nur wenige Bauern, Fischer, Torfstecher und Schafzüchter kamen in dieser Gegend zum Wohlstand, so galt die Region bis in die 1960er Jahre als das „Armenhaus Deutschlands“. Die hiesige Natur bietet dem Wanderer zwar keine nennenswerten Erhebungen, dafür aber eine „stille“ Vielfalt ausgebreitet in der Horizontalen. Hier kann man durch lichte Laubwälder wandern, Moore durchqueren, Seen umwandern oder Flüssen entlang ihrer Auen folgen.
Der Blick schweift in dieser relativ dünn besiedelten, flachen Landschaft bis zum Horizont. Auf Schritt und Tritt begleitet den Wanderer uralte Geschichte. Da sind insbesondere die in der Region besonders ausgeprägten Relikte der Megalithkultur mit ihren sogenannten Hünengräbern. Interessante Freilichtmuseen wie das Moormuseum Groß Hesepe, kunsthistorisch prominente Schlösser wie Dankern und Clemenswerth, Klöster, Gedenkstätten und geschichtsträchtige Städte wie Papenburg, Meppen oder Lingen bereichern auf einmalige Weise das Wandern per pedes oder auf dem „Fiets“ (Fahrrad) im Emsland.
Hümmling in Emsland: Was sehen, wohin wandern?
Die Urlaubsregion Hümmling befindet sich südöstlich von Papenburg und erstreckt sich auf 577 Quadratkilometern Fläche, wovon circa 47% als Naturschutzgebiete und Naturlandschaften ausgewiesen sind. Sie bietet vielfältige Wandermöglichkeiten für jeden Wandertyp von gemütlich bis sportlich an. Luftige Birkenhaine und geheimnisvolle Moore gehen in Heideflächen, Felder und Flussauen über, mächtige Buchen in lichten Laubwäldern locken nicht nur zu sommerlichen Wanderungen. Seit 2016 ist der Hümmling offiziell in den Rang eines Naturparks aufgestiegen.
Sowohl bei Werlte als auch bei Groß Berßen gibt es bis zu 5.000 Jahre alte Stein- und Hügelgräber zu entdecken, die uns eine Ahnung von den bronzezeitlichen Menschen und ihrer Kultur geben, in der die Megalithen eine kultische Rolle spielten. Von diesen besonderen Stein- und Hügelgräbern sind an die 150 in unterschiedlichen Zuständen erhalten. Die größte erhaltene Grabanlage ist der 27 Meter lange „De Hoogen Stainer“ („Die hohen Steine“) bei Werlte, ein sogenanntes Gang- oder Sippengrab mit einer großen Grabkammer umgeben von vielen kleineren Findlingen. Bei älteren Ausgrabungen fand man darin Reste von Grabbeigaben (Landesmuseum Hannover). „De Hoogen Stainer“ gehört zu den wenigen erhaltenen Gräbern dieser Art, die einer Demontage und Wiederverwertung als Baumaterial für Kirchen, Rathäuser oder Bauernhäuser entgingen.
Ein überaus lohnenswertes Ausflugsziel ist das Schloss Clemenswerth bei Sögel. Die barocke Großanlage ist ein kunsthistorisches Juwel, bestehend aus sieben Pavillons, dem Kloster des Kapuzinerordens und einer schönen Rokoko-Kapelle, die sich um das zentrale Jagdschloss gruppieren. Weitere Gebäude wie der Marstall liegen etwas abseits im prächtigen Park, der als der schönste von Niedersachsen gilt. Die Barockanlage realisierte der hochgeschätzte Wahlmünsteraner Architekt Johann Conrad Schlaun zwischen 1737 und 1747. Der Auftraggeber war der mächtige Kurfürst, Landesherr und Erzbischof von Köln, Clemens August von Bayern, dem es die ehemals tierreichen Wälder des Emslands besonders angetan hatten.
Die Gedenkstätte Esterwegen liegt in der reizvollen Landschaft des Naturschutzgebietes Melmmoor im nördlichen Hümmling. Gleichwohl zeugt sie von der Schreckensherrschaft des deutschen Nationalsozialismus, die hier mit einem der ersten Konzentrationslager von 1933 begann. Hier lebten und schufteten bis zu 2.000 Häftlinge unter menschenunwürdigen Verhältnissen. Die großangelegte Gedenkstätte Esterwegen besteht aus modernen Mahnmalen, einigen Relikten und einem bedrückenden Dokumentationszentrum, das der Erinnerung an alle 15 in Emsland gebauten Konzentrationslager und dort umgekommenen Menschen dient.
Auch Papenburg ist einen Besuch Wert: die älteste deutsche Fehnsiedlung mit insgesamt 40 Kilometer langen Wasserstraßen. Was ist sehenswert? Freilichtmuseum „Von-Velen“– so sah Papenburg früher aus; Besucherzentrum Meyer Werft – sehen, wie man riesige Kreuzfahrtschiffe baut; Schifffahrt(freilicht)Museum – alte Pötte verteilt auf schöne Stadtkanäle; Museum „Zeitspeicher“ – eine Reise in die Vergangenheit; Bockwindmühle an der Wiek – älteste Mühle Emslands.
Wandern auf dem Hünenweg im Emsland
Für den gesamten Hünenweg – markiert durch ein geschwungenes grünes „h“ – braucht es ein paar Urlaubstage mehr, denn der Wander- und Fahrradweg erstreckt sich zwischen 190 und 209 Kilometern von Osnabrück über Ankum, Haselünne nach Papenburg (oder 150 km nach Meppen). Die meisten Etappen des äußerst abwechslungsreichen Hünenwegs verlaufen durch das Emsland. Eine mit Highlights gespickte Hünenwegstrecke ist die Etappe 6, die in Lähden startet und nach 25 Kilometern in Sögel endet. Zu den kulturhistorischen Sehenswürdigkeiten gehört das alte Kleinod Hüvener Mühle an der hübschen Mittelradde, eine rare Kombination aus Wind- und Wassermühle. Im Dorf Hüven führt Sie der sicherlich seit Jahrtausenden bestehende Weg zu den Megalithgräbern von Groß Berßen („Hünengräberstraße“), von denen das rekonstruierte „Wappengrab“ als Vorlage für das Wappen des Landkreises Emsland diente. Das „Königsgrab“ mit seinen 24 Metern Länge gehört wiederum zu den größten erhaltenen Megalithgräbern der Region. Wir folgen im weiteren Streckenverlauf dem schönen Flüsschen Nordradde, entdecken geschützte Heidefelder, die Hügelgräberheide und die Mansenberge. Mit ehemals über 160 Grabhügeln sind sie immer noch eines der größten Grabhügelfelder Niedersachsens. Kurz vor Sögel wartet die barocke Schlossanlage Clemenswerth mit ihrem schönen Park auf Sie.
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Wer sich auf die Etappen 7 und 8 des Hünenwegs nach Papenburg an der Ems begibt, der entdeckt immer mehr an Spuren archaischer Fehnlandschaft. Auf diesen Strecken wandern Sie sich im uralten Kulturgebiet der Fehne, einer Landschaft aus Mooren, Moorseen und Wasseradern. Das Wort Fehn geht auf das niederländische „veen“ zurück, was einfach „Moor“ oder „Morast“ bedeutet. Im 16. und 17. Jahrhundert entwickelte sich hier die Fehnwirtschaft, der Handel mit Torf und Moorerde (Schlick und Weißtorf). Dabei wurden Wasserläufe für flachgehende Segelboote schiffbar gemacht (Wieke) und die beidseits davon liegenden Moore von Moorstechern abgebaut, getrocknet und als Schwarztorf verkauft. Auf deutschem Boden ist Papenburg die älteste Fehnkolonie (1630 gegründet), die an eben solchen Transportkanälen entstand. Heutzutage sticht hier keiner mehr Torf, dafür werden in der Papenburger Meyer Werft an der Ems die größten Kreuzfahrtschiffe gebaut. Ein Spektakel erwartet Sie, wenn diese durch die schmale Ems gelotst werden!
Hümmlinger Pilgerweg
Der Hümmlinger Pilgerweg – Pilgerlogo „weißes Kreuz vor rotem Findlingsstein“ – mit seinen an Findlingen angebrachten Sinnsprüchen ist keine überlaufene Pilgerautobahn. Der Wander-Pilgerweg ist als Rundweg ausgebaut und besteht aus fünf Etappen, die zusammengerechnet eine Strecke von gut 90 Kilometern mit einfachen Schwierigkeitsgrad ergeben. Zahlreiche Zugangswege machen auch eigene Rundwege möglich. Auf der gesamten Strecke liegen interessante religiöse Stätten wie Mariengrotten, Kapellen, Flur- und Waldkreuze, ein Bibelgarten, katholische wie lutherische Kirchen, die zu Rast und inneren Einkehr einladen.
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Der traditionelle Start ist in Sögel an der St. Jacobus Kirche und der dortigen Weidenruten-Kapelle. Im ersten Etappenziel müssen gut 26 Kilometer bis nach Werlte bewältigt werden. Diese Strecke dominieren breit angelegte Wege, abwechslungsreiche Landschaftsabschnitte und zwei kulturhistorische Höhepunkte: die Schlossanlage Clemenswerth und die Männiger Berge. Diese „Zwergen-Berge“ beherbergen keine kleinen Leute, wie die Legenden meinen, sondern an die 60 Grabhügel, die zwischen 1300 v. Chr. und 10 n. Chr. datiert und zu den größten erhaltenen Grabfeldern im Emsland gezählt werden. Auf der Strecke liegt auch das Naturschutzgebiet Thiekenmeer, das mit anderen Stichpfaden zu schönen Umwegen reizt. Die zweite Etappe führt von Werlte nach Lorup und ist mit ihren gut 11 Kilometern wesentlich kürzer. Das ist gut, denn so bleibt mehr Zeit für die Sehenswürdigkeiten. Beispielsweise für die 1881 erbaute Kreutzmanns Mühle, die bis in die 1970er Jahre im Betrieb war und 1995 originalgetreu zurückgebildet wurde (nach Absprache geöffnet). Ein weiteres Top der Etappe ist das Megalithgrab De Hoogen Stainer, das Sie auf einer schönen Allee etwas abseits des Hauptwanderwegs erreichen. Sehenswert ist gleicherweise das Fachwerkhaus Rastdorf mit seiner ständigen Ausstellung zu dem auf Geheiß Adolf Hitlers erdbodengleichgemachten Dorf Wahn. Am Ende der Etappe in Lorup kann der fitte Wanderer noch das Heimat- und Bauernhaus Krull´s Hus sowie die katholische Kirche Mariä Himmelfahrt aufsuchen, die eine Rheinische Madonna aus dem 14. Jahrhundert sowie die älteste Orgel Hümmlings beherbergt (1854).
Die dritte, 12 Kilometer lange Pilger-Etappe führt von Lorup nach Esterwegen. Hier wandert man durch schöne Heidelandschaften zu dem Aussichtspunkt Helkensberg und dem nur 4 Hektar kleinem Erikasee, der im Sommer zum Baden einlädt. Doch der anschließende Wanderabschnitt hat es in sich: 28 Kilometer führen von Esterwegen nach Börger, doch die Etappe lohnt sich. Zu den Highlights gehört für mich der Moorinfopfad mit seinen informativen 17 Haltestellen. Mit der dunkelsten Vergangenheit Deutschlands sieht sich der Wanderer konfrontiert in der Gedenkstätte Konzentrationslager Esterwegen und an der Begräbnisstätte der KZ-Häftlinge an der Bundesstraße 401. Die letzte Etappe von Börger zurück nach Sögel ist eine relativ kurze Strecke von 12 Kilometern, aber dem Wanderer wird es hier alles andere als langweilig. In Werpeloh wird man zunächst mit dem fremdartigen Batakhaus überrascht, einem traditionellen, fein geschmückten Pfahlhaus des Batak-Volksstamms aus Sumatra.
Eine ganz andere Überraschung birgt hingegen die Rundkirche St. Franziskus, die eine originalgetreue Kopie des berühmten Turiner Grabtuches aber auch einige andere Kunstwerke aufbewahrt. Ein ungewöhnlicher Steinkreis am Wegesrand will zwischen Natur und Religion vermitteln und präsentiert sowohl einen Megalithen als auch eine schwarze Madonna mit 944 Amethysten. Besonders lohnenswert ist für mich der knapp 6 Kilometer lange Abstecher, der von Werpeloh auf Wander- und Feldwegen zu einem seltsam anmutenden Acker mit zahlreichen Panzern aus dem Zweiten Weltkrieg (hinter dem Wald) sowie zu der Gedenkstätte Wahn (an der L 53) führt. Im Wald stoßen Sie auf den alten Wahn-Friedhof, auf berührende Spuren der Kirche sowie einige Informationstafeln, die an die Zwangsräumung des ehemals größten Dorfes der Umgebung erinnern, die Hitler für Kriegsgerätübungen der Krupp-Rüstungsproduktion anordnete. In Sögel angekommen schließt sich der Pilgerkreis im alten jüdischen Friedhof mit seinen 65 noch erhaltenen Grabsteinen. Diese ruhige Ort ist das einzige Zeugnis einer einst großen jüdischen Gemeinde.
Mein Tipp: Zwischen Surwold und Esterwegen, an der B401, finden Sie „Mo‘s Idylle“, ein Restaurant in einem für die Region typischen langgestreckten Backsteinhaus. Die Speisekarte besteht aus monatlich wechselnden Gerichten einer regionalen aber modern interpretierten Küche. Diese ist so gut, dass sie Aufnahme in den renommierten „Gault & Millau Restaurantguide Deutschland“ (2020) fand. An der Ems im Norden von Papenburg steht wiederum ein Klassiker: das „Fährhaus Gästehaus“ (Westoverledingen). Hier können Sie mit Blick auf den Fluss in einer nordisch eingerichteten Stube (oder draußen) traditionell gekochte Speisen aus regionalem Fleisch und Gemüse genießen. Ein kleiner Insidertipp ist die „Arco Tapas Bar“ (Weener) auf der anderen Seite der Ems. Fazit hierzu: sehr nett & lecker, mit Kamin & Gitarren-Live-Musik.
Haben Sie schon Wanderungen durch Norddeutschland unternommen?